In diesem Jahr hat es sich wirklich gelohnt, das Sofa gegen einen Kinosessel einzutauschen. Mit „Love, Simon“ ist im Sommer 2018 der wohl prägendste, treffendste und authentischste Film über die Leinwände geflimmert, der bisher das Thema Outing und Homosexualität behandelt. Ein Film, der weder beschönigt noch überspitzt darstellt, was jemand im Zuge des Outings durchmacht. Dabei wird alles so echt und nahbar umgesetzt, was in der Realität passiert. Der Film ist jedoch nicht nur etwas für die LGBT Community, sondern für jeden. Im Kino habe ich niemanden gesehen, dessen Augen trocken geblieben sind und auch Menschen, die jemanden im Umfeld haben, der diesen Weg gegangen ist, werden durch den Film ein wenig mehr verstehen können, was man durchmacht.
Mit „Der verlorene Sohn“ (Originaltitel: Revelation) startet demnächst zudem ein weiterer Film in den Kinos, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Weg des Outings, die Erfahrungen mit der Homosexualität und den damit einhergehenden Veränderungen zu thematisieren. Beide Filme habe ich heute zum Anlass genommen, meine #StoryBehindMySmile fortzuführen, die aufgrund einiger Geschehnisse kurz aussetzen musste.
Einen Aspekt, den sowohl die Filme, als auch die Realität miteinander gemeinsam haben, ist die Einsamkeit. Die Einsamkeit während des Entwicklungsprozesses, in dem man bemerkt, dass etwas anders ist. Während anfangs die Gedanken nur nebulös um das Thema Homosexualität kreisen, verengt sich der Kreis im Laufe der Zeit. Eine Reise und ein Weg beginnt, der einem viel abverlangt, beängstigend sowie nervenzehrend ist und den man ganz alleine gehen muss. Man ist mit seinen Zweifeln ebenso alleine wie mit der Angst. Der Angst vor Veränderung.
Am Anfang des Weges nimmt die Angst den größten Anteil ein und lässt wenig Platz für Hoffnung, Mut und Stolz. Die Rede ist jedoch nicht von der Angst vor dem, was in einem gerade aufklart und zum Vorschein kommt, sondern die Angst vor Veränderung. Die Angst davor, etwas zu verlieren, was bisher immer da war. Man möchte das, was um einen herum ist, was einen alltäglich begleitet und was bei einem ist, nicht verlieren. Diese Dinge sind da, weil man der Mensch ist, den man bisher verkörpert hat. Die Angst ist der größte Feind. Und zugleich die perfekte Angriffsfläche. Der Schwachpunkt.
Jedes Wort, jede Anfeindung, jede Äußerung, jeder Blick und jedes Getuschel nimmt man viel lauter und deutlicher wahr, als man müsste. Alles gepaart mit der Vorstellung von dem, was alles nicht mehr sein könnte, wenn man den Schritt ins Licht geht und zu dem steht, was man ist, wandelt sich zu einem nicht enden wollender Albtraum. Zu zeigen, wer man ist, ist immer beängstigend und nicht nur eine Herausforderung für Homosexuelle, sondern für jeden. Echt zu sein, die Hülle fallen zu lassen und zu sich selbst zu stehen, ist nie leicht. Doch besonders, wenn man schwul ist, ist dieser Schritt zu sich selbst eine Überwindung. Wie soll ich ich selbst sein, wenn alles, was ich bin, in Frage gestellt wird? Was ist, wenn die anderen einen nicht mögen? Was ist, wenn man etwas verliert, was an das „alte“ Ich geknüpft war? Ich glaube, dass ein Outing eine so lange Vorgeschichte hat, weil man an dem festhalten möchte, womit man aufgewachsen ist und täglich im Kontakt steht. Man hält fest an dem, wer man die letzten Jahre war.
Vier Jahre hat es mich gebraucht, mir bewusst zu werden, wer ich bin. Vier Jahre voller Selbstzweifel, Wut und Ratlosigkeit…voller Einsamkeit. Man geht mental und gedanklich durch die Hölle. Und zwar allein. Diesen Weg muss man allein durchstehen. Es waren Jahre, in denen ich stiller, kälter und verletzlicher wurde. All die Anfeindungen und Äußerungen haben den Prozess verzögert und die Angst wachsen lassen, dass alles anders sei, wenn ich mich oute. Wer wird noch bei mir sein? Werden mich noch die gleichen Leute treffen wollen? Wo wird mein Platz sein? Fragen, die man sich täglich stellt, aber auf die man keine Antwort bekommt. Die einem keiner geben kann.
Der Zustand hat mich nicht nur traurig, sondern auch wütend gemacht. Da man jedoch niemanden erzählen wollte, warum man schlecht drauf ist, gerade pampig antwortet oder reserviert wirkt, frisst man die Gedanken, den Frust und die Emotionen in sich hinein. Das Fass füllt sich immer mehr. Und je näher man dem Überlaufen des „Gefühlsfasses“ kommt, desto größer wurden meine Stimmungsschwankungen und der Hass in mir. Der Hass gegen eine Gesellschaft, die mich zwingt, diesen schwierigen Weg durchzumachen, die mich als anders abstempelt und die mich mich „anders“ fühlen lässt. Doch auch diese Phase geht vorbei.
Die Antwort auf all die Fragen, die einem im Kopf herumschwirren, gibt man am Ende sich selbst. Das Outing ist der größte Schritt weg von Angst und der Dunkelheit hin zu sich selbst und der Freiheit. Ich war es leid in einer Welt zu leben, in der ich nicht der sein kann, der ich bin. Kein Versteckspielen mehr. Kein Verstellen des Charakters mehr. Keine Lügen mehr. Die Fragen, die man sich stellt, können nur beantwortet werden, wenn man den Schritt wagt und am eigenen Leibe erfährt, was sich am Ende des Weges und am Anfang eines ganz neuen, helleren Weges befindet. Der dunkle Weg muss irgendwann ein Ende haben und hat es auch. Der Himmel wird aufklaren und die dunklen Wolken werden verziehen. Der Haken an der Sache ist jedoch, dass man selbst bestimmt, wo dieses Ende des Weges auf einen wartet. Nur man selbst entscheidet, wann der richtige Moment gekommen ist, ins Licht zu treten. Man sollte es jedem selbst überlassen, wann wer es erfährt und wie. Keiner kann einem diesen Schritt abnehmen und sollte es auch nicht. Für die eigene Entwicklung sowie das Selbstbewusstsein ist dieser Schritt so wichtig. Egal, welche Erfahrung man macht, man wird daran wachsen. Man wird stärker. Und wenn ich eines aus Erfahrung berichten kann, ist es, dass sich gar nicht so viel verändert, außer man selbst. Man blüht wieder auf. Fühlt sich freier. Kann man selbst sein. Man muss sich endlich nicht mehr verstecken. Man kann den grauen Schleier, der sich mit der Zeit über die Wahrheit gelegt hat, entfernen, und endlich wieder durchatmen.
Der prägendste Satz aus dem Film „Love, Simon“, der mir auch jetzt beim Schreiben sofort wieder die Tränen in die Augen schießen lässt, stammt von der Mutter von Simon. „Es hat sich angefühlt, als könnte ich förmlich spüren, wie du in den letzten Jahren den Atem angehalten hast. […] Du kannst jetzt endlich wieder ausatmen. Du kannst jetzt endlich wieder du selbst sein.“
Für alle, die den Film bereits gesehen haben oder für diejenigen, die sich gern spoilern lassen, habe ich hier einen Link zu der für mich bewegendsten Szene des ganzen Films herausgesucht:
Und wenn ich noch eine Sache am Ende anmerken darf, ist es die Tatsache, dass ich dankbar bin. Dankbar für meine Familie, für meine Freunde, für all diejenigen, die mir immer zur Seite standen und die mich nie verlassen haben! Es gibt so viel Licht und Liebe, die man in den dunklen Zeiten vielleicht nicht wahrnehmen mag, aber sie sind da und dafür sollte man immer dankbar sein. Versuche die Menschen, die Licht in dein Leben bringen, stets in den Vordergrund zu stellen und dich auf diese zu konzentrieren – sie sind es wert.
Smile, Levin